Das Sehnen nach einem Miteinander

Wenn ich lese oder höre, dass autistische Menschen gerne für sich selber sind, kann ich das aus meiner Perspektive nur bedingt bejahen. Ich habe sehr gerne viel Zeit für mich – ja. Ohne Druck, ohne irgendwo hin zu müssen – einfach zum Erholen vom Alltag, der Arbeit. Mich nicht verstellen zu müssen. Aus so einer Situation kann ich mich auch leichter entschließen, etwas zu unternehmen. Gleichzeitig habe ich auch in solchen Ausgangssituationen bereits Stress, den ich mir selbst mache, wie „Müsste ich nicht eigentlich etwas Sinnvolles tun?“ Ich bin dabei, dies abzulegen.

Jedenfalls ist so eine freie und selbst bestimmbare Zeit für mich sehr erholsam. Aber es geht darüber hinaus. Es ist die Zeit, in der ich etwas tun kann, bei dem ich richtig abschalten, bzw. ich mich vertiefen kann. Eine Recherche über ein bestimmtes Thema, ein Buch, eine Serie oder ein Computerspiel. Ich denke, dass das Viele kennen und diese Zeit sehr zu schätzen wissen. Ich brauche nur viel mehr davon, als die meisten.

Dabei bin ich aber nicht zwingend gerne allein, nur für mich. Ich würde es schon schätzen jemanden in meiner Nähe zu haben. Hier und da mal ein paar Worte zu wechseln beisammen zu sein, auch wenn jeder etwas für sich macht. Das jemand da ist, und man selbst aus der Perspektive des Anderen ebenso da ist.

Das müsste aber ein Mensch sein, der mir nahe ist, und bei dem ich mich entspannen kann, weil es ok ist, so zu sein.

Das Problem ist nicht, dass ich Vieles allein machen möchte, sondern dass ich nicht sehr flexibel bezüglich der Art und Weise bin, wie ich diese Dinge tun möchte. Wenn ich zum Beispiel am Computer spiele, möchte ich das unglaublich gern mit Anderen teilen. Ich wäre gerne Teil einer Gruppe und fühle mich ohne sie oft einsam. Versuche ich mich jedoch in eine Gruppe zu integrieren, fühle ich mich einfach schnell unwohl und unsicher, merke wieder, wie ich mich maskiere und das Ganze weniger entspannend wird.

Vielleicht sind meine Mitspieler zu ehrgeizig dabei, oder machen auf cool, womit ich dann nicht klar komme. Das muss nicht einmal wirklich so sein, sondern ist ja dann auch nur meine Wahrnehmung – die falsch sein kann. Am liebsten spiele ich tatsächlich mit meinen Kindern, oder meinem Bruder und seinem Freund aus der Schulzeit, der so auch mein Freund wurde. Weil ich sie kenne, und sie kennen mich. Sie wissen, wie ich spiele, was ich gut finde. Bei meinen Kindern konnte ich sie auch an meine Art gewöhnen, zu spielen. Gewinnen ist schön, aber nichts gegen einen Lachanfall über das Wie des eigenen Scheiterns.

Ähnlich ist es mit anderen Dingen. Das macht es schwierig für mich, teil einer Gruppe zu werden. Früher habe ich mich versucht über-anzupassen und mich dann gewundert, wenn ich nach ein paar Wochen keine Lust mehr hatte. Oder warum ich nach den Treffen immer erst einmal Abstand brauchte – obwohl ich mich doch eigentlich integrieren wollte. Heute merke ich viel früher, wie fremd ich mich dann eigentlich fühle. Das ist ein Dilemma. Am liebsten treffe ich mich nur mit einer Person, dann kann ich mich leichter auf sie einstellen und gleich in die Tiefe gehen. Das geht auch nicht mit jedem Menschen. Am Besten mit denen, die nicht irgendeine Agenda haben, sondern die offen und sie selbst sind, denke ich.

Ich schwinge nicht so leicht mit anderen Leuten, erst wenn sie mir sehr nahe sind. Ich nehme wahr, dass da etwas wie eine Schwingung ist, aber es gelingt mir nicht so gut, mitzumachen, bzw. ist mir das irgendwie zu viel, zu nahe, zu intensiv, um es mit einem neuen Menschen zu erleben.

Mein durchaus vorhandener Charme und die Geselligkeit sind nur aufgesetzt und eigentlich ein Im-Dunkeln-Tappen, gewürzt mit einem Vorschussvertrauen auf meine fortlaufende Wahrscheinlichkeitsberechnung, was denn gerade das passende Verhalten sein könnte.

Es wäre schön, wenn es in einer Gruppe möglich wäre, falls es anstrengend wird, einfach die Kopfhörer aufzusetzen und abzutauchen – eigene Dinge zu tun, um sich zu erholen. Dann wieder auf die anderen zu gehen, wenn wieder Lust und Kraft da ist. Vielleicht wirkt das von außen egoistisch – ich nutze die Gruppe nur, wenn es mir passt. Schon deshalb ist ein transparenter Umgang mit der Diagnose eventuell sinnvoll. Vielleicht wäre ich dann Gruppen-tauglicher, weil ich nicht mehr die ganze Zeit maskieren müsste. Wenn ich so viel vertrauen in eine Gruppe hätte, dass das so geht, vielleicht würde ich auch die Maske langsam immer mehr ablegen können, und so länger präsent bleiben?

Bisher ist mir das nie gelungen. Ich wollte immer teil einer Gruppe sein und halte mich für Anschlussmotiviert – bin aber gleichzeitig unsicher und möchte gerne meine Ruhe. Ich kann mich auch an das Gefühl in der Kindheit erinnern, wenn ich zuhause bleiben musste, weil es mir irgendwie nicht gut ging (Kopfschmerzen). Wenn die anderen zum Beispiel baden gefahren sind, verspürte ich trotz des Ruhebedürfnisses ein starkes Sehnen – die Angst nicht dabei zu sein und etwas Tolles zu verpassen. Auch heute habe ich das noch. Oder die Angst, Menschen zu enttäuschen weil man ihnen nicht die gleiche Aufmerksamkeit entgegenbringt, wie sie einem. Diese Angst, egoistisch zu wirken und Anderen die Lage nicht erklären zu können, dass es eben nicht egoistisch sein muss, sondern an den eigenen Grenzen liegt. Die Angst, auf sozialer Ebene nicht zu genügen.

Schaue ich Serien, wie Seinfeld oder Friends, wünsche ich mir eigentlich auch so eine Art von kleiner Gruppe. Ich habe nie geschafft mir eine solche zu bauen. Ich lache über die Scherze, die sie miteinander treiben und weiß gleichzeitig, ich würde die Dinge wahrscheinlich in der Situation selbst nicht als Scherz erkennen und sie zu wörtlich nehmen. Mir müsste man immer korrigierend sagen, was wie gemeint war. Mittlerweile verstehe ich auch, dass nicht alles wörtlich gemeint ist – spaßig sein soll. Doch trotzdem ich das weiß, verletzen mich raue Äußerungen immer noch. Heißt das jetzt aber, dass so etwas für mich nicht drin ist? Nebenbei: mir ist natürlich klar, dass dies nur Sendungen sind, und sie nicht die Realität abbilden. Dennoch lernte ich viel aus Serien. Immer wenn Data etwas über die Menschen erklärt bekam, hörte auch ich gespannt zu. Und auch aus Comedy-Sendungen erhielt ich eine Ahnung darüber, wie Menschen miteinander umgehen. Wie ungesagtes im Raum steht, scheinbar für alle Glasklar, nur mir ging da ein Licht auf.

Sind mir Menschen erst einmal vertraut, treffe ich mich auch mal zu Dritt oder viert. Habe ich mich mit zu vielen oder zu fremden Menschen getroffen, und erlebe das dann als anstrengend, brauche ich danach ein paar Tage, manchmal auch Wochen meine Ruhe. In dieser Zeit hätte ich gerne trotzdem jemand Vertrautes um mich – natürlich mit dem Verständnis, dass ich dann nicht so viel machen kann. Habe ich so einen Menschen nicht bei mir, fühle ich mich einsam.

Es ist also keineswegs so, dass alle autistischen Menschen unbedingt allein sein wollen. Ich denke, ich spreche nicht nur für mich, wenn ich sage, dass auch autistische Menschen soziale Wesen sind. Auch andere beschreiben das zum Glück mittlerweile so.

Nur habe ich das für mich noch nicht so richtig hinbekommen. Die Menschen um mich haben vielleicht einfach nicht die passenden Interessen, oder nehmen sich nicht mehr die Zeit dafür.

Möglicherweise liegt das auch in der Natur der Sache, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass man Menschen findet, die diese speziell ausgerichteten Interessen teilen. Es muss für Außenstehende manchmal anstrengend sein, wenn man immer von sehr ähnlichen Themen redet und versucht, sie dafür zu begeistern.

Das ist wahrscheinlich der Knackpunkt. Wie findet man Menschen, die die gleichen Interessen haben, und deren Art und Weise, diese Interessen zu begehen, kompatibel ist? Reine Internetkontakte kommen für mich da leider nicht in Frage. Ich weiß nicht, ob es da nur mir so geht, aber diese Internetkontakte, z.B. auf einem Discordserver für ein Spiel, sind für mich immer sehr abstrakt. Es fällt mir sehr schwer, zu ihnen eine Bindung aufzubauen, es bleibt immer sehr unpersönlich, was es auch wieder für mich sehr anstrengend macht. Ein bleibender Kontakt müsste sich für mich zusätzlich auch in der Offline-Welt abspielen.

Manchmal denke ich, dass ich eigentlich nur einen Menschen brauche, der immer irgendwie in der Nähe ist, der wenigstens ein bisschen meine Interessen teilt. Dann am besten als Liebesbeziehung.

Aber kann man denn einem einzelnen Menschen diese Last auferlegen, all diese Bedürfnisse zu erfüllen? Kann es überhaupt einen passenden Menschen geben? Ich habe eher gehört, dass es verschiedene Menschen im Leben geben sollte, mit denen man dann auch verschiedene Sachen tun kann. Aber genau damit habe ich Probleme. Zu viele Kontakte, so viele Geburtstage zu merken, sich regelmäßig melden.

Und wie überwindet man den tiefen Graben zu einem neuen Menschen – sei es auch nur ein Freund – so dass der Kontakt bestehen bleibt? Wie kann man sich so lange in seiner Nähe aufhalten, dass er einem vertraut wird – wenn man immer wieder seine Ruhe braucht? Wie ist das Aufzulösen? Und wie findet man Gleichgesinnte?

Weltraumpoet