Kein Recht auf Schicksal, kein Recht auf Glück

Wenn ich mir Naturdokumentationen anschaue und sehe, wie ein Tier auf die Jagd geht, kommt es auf die Situation an, ob dieses Tier Erfolg hat. Hat die sprechende Person das jagende Tier schon eine Weile begleitet, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es Erfolg hat, wurde das Opfertier begleitet, wird es wohl entkommen können. So zumindest meine Erfahrung, was Dokumentationen angeht.

Das ist natürlich nur so, weil die Filmemachenden im Nachhinein entscheiden können, welche Szenen sie mehr herausstellen, und ob sie den Zuschauenden eine Bindung zu einem Tier aufbauen lassen wollen, wenn es gleich danach sterben soll, oder nicht.

Die Natur selbst ist Erbarmungslos. Auch das süßeste Kaninchenjunge kann einem Fuchs zum Opfer fallen, und auch das tollste Löwenbaby kann gefressen werden. Die Sonne wird danach ungerührt wieder aufgehen, der Planet wird sich weiter drehen und unser Sonnensystem sich weiter mit der Galaxis bewegen.

Kein Tier hat ein Recht darauf, weiterzuexistieren, glücklich zu sein, sein Rudel oder seine Art zu erhalten.

So ist das auch mit uns, auch wenn wir das zuweilen vergessen. Vor der Natur, dem Universum haben wir kein Recht darauf, zu leben, geschweige denn, glücklich zu werden. Nur die uns Nahestehenden werden darauf eine Zeit lang reagieren, nur dadurch hat es vielleicht eine Bedeutung, die sich jedoch auch nur auf den Bereich des persönlichen Miteinanders erstreckt.

Im Philosophie-Magazin las ich kürzlich die Worte „Wir sind Geworfene in einer Welt, in der wir uns als geworfen begreifen“ (frei nach Martin Heidegger)1.

Diese Worte lösten bei mir einen Aha-Effekt aus, es stellte mir eine Tatsache klar heraus, die bisher schon immer völlig unbewusst und unausgedrückt unter der Oberfläche schwamm.

Es wurde mir klar, dass auch ich mich als geworfen begreife. Ich habe, soweit ich weiß, nie darum gebeten, zu leben und all dies auszuhalten, mich zusammenreißen zu müssen. Diese anerzogene Spannung aufrecht zu erhalten und Gesellschaftskompatibel leben zu müssen.

Ich lebe gerne, ich mag den Herbst, wie er dunkle Wolken vor sich her treibt, den Wind um meine Nase, oder den Geruch von abendlichen Sommerwiesen, meine Kinder, tolle Geschichten und vieles Weitere. Dennoch hatte ich (nach meiner Erinnerung) keine Wahl, hier zu landen und bin gezwungen, mit den aktuell herrschenden Bedingungen zu leben.

Lebten wir in der Steinzeit, wäre ich vielleicht schon längst tot. Verendet, ohne zu wissen, das nur einen Kilometer weiter, das ersehnte Wasser fließt, erkrankt an einem Keim, der mich besiegt hatte, ein dummer Unfall bei der Jagd oder verspeist von einem Tier. Möglicherweise auch getötet von einem Konkurrenten aus meiner Gruppe, oder gar verstoßen.

Und das wäre in Ordnung so. Wie ein Wolf, eine Gans oder ein Fisch, verendet im reißenden Strom des Lebens mit all seinen scharfen Kanten und anderen Jägern, die auch nur leben wollen. Ich wäre nicht besser als sie und hätte nicht mehr Recht als sie, zu leben.

Erst sollte der Text „Vom fehlenden Recht auf Glück“ heißen. Aber Fehlend ist etwas Negatives, und es räumt die Möglichkeit ein, dies vielleicht doch zu erlangen. Aber das Universum diskutiert nicht. Daher fehlt dieses Recht auch nicht, sondern es ist schlichtweg nicht existent, war es nie. Es steht niemals zur Diskussion.

So warm die Sonne auch scheinen mag, und so schön sich zwischenmenschliches Glück auch anfühlt, am Ende ist das kalte Enden selbst normal und nichts Besonderes.

Nur wir Menschen haben uns da etwas geschaffen, um eine watteweiche Schicht zwischen uns und der unweigerlich fortschreitenden Leben-schaffenden und -nehmenden Natur zu schieben: den Gesellschaftsvertrag.

Je nach Geburtsort, nicht unbedingt den selben. Er besagt, dass wir zusammenarbeiten und einen Teil unseres Lohns abgeben, um unser aller Leben besser, sicherer und gesünder und sogar länger zu machen. Er ermöglicht uns auch, uns zu spezialisieren, weil es genug andere gibt, die die anderen nötigen Tätigkeiten übernehmen: durch Arbeitsteilung.

Vor unserer rechtsstaatlichen, demokratischen Gesellschaft in Deutschland haben wir zwar immernoch kein Recht auf Glück, aber immerhin, ein Recht auf medizinische Behandlung, auf freie Meinungsäußerung, darauf so sein zu dürfen wie wir sind, egal wie eingeschränkt, oder leistungsfähig.

Laut Europäischer Menschenrechtskonvention haben wir sogar ein Recht auf Leben. Dies, so würde ich meinen, gilt jedoch in Bezug auf andere Menschen und der Gesellschaft. Ein hohes und wertvolles Recht, das verteidigt gehört. Vor der Natur, vor unbehandelbaren Krankheiten oder dem Alter gilt dies jedoch weiterhin nicht.

Zumindest auf dem Papier sind uns diese Rechte bescheinigt – so lange wir die Freiheit anderer nicht einschränken. In der praktischen Umsetzung mag das des Öfteren nicht hinkommen. Unsere Gesellschaft ist nicht fair. Es gibt Menschen, die sich alles kaufen können. Gesundheit, Recht, mehr Zeit. Wir gehören vielleicht nicht zu dieser Gruppe.

Dennoch ermöglicht uns der Gesellschaftsvertrag, dass wir mehr Rechte haben, als ohne ihn. Auch wenn es uns in Deutschland vergleichsweise gut geht, ist das Leben immer noch nicht fair oder könnte für jeden als „gerecht“ oder „leicht“ empfunden werden.

Wir können der Gesellschaft gegenüber jedoch mehr Rechte einfordern, als vom Universum oder der Natur. Je nach Gesellschaftsform mehr oder weniger.

Was wir aber nicht einfordern können ist, in welcher Art von Gesellschaft wir leben, oder in welcher Gruppe innerhalb dieser Gesellschaft wir leben. Auch in die Gesellschaft sind wir zunächst geworfen. Denn vom Universum können wir, wie oben festgestellt, überhaupt nichts einfordern. Wir könnten uns in diesem Fall höchstens entscheiden, daran zu arbeiten, eine andere Gesellschaftsschicht zu erreichen, oder gar in eine andere Gesellschaft zu wechseln. Auch hier haben wir wieder kein Recht darauf, dass uns das gelingt.

Wir sehen also, dass die menschliche Gesellschaft uns das Rechte-lose Universum etwas abfedert und ein paar Rechte zugesteht. Aber am Ende haben wir zumindest zur Geburt keinen Einfluss darauf, welche Gesellschaft uns umgibt.

Was man sich noch als zusätzliche Wärmeschicht oder Abfederung vor dem Universum geben kann, ist der Glaube. Der Glaube, dass ein ungerechter Mensch seine Strafe kriegen wird, dass man für die Opfer, die man im Leben bringt, belohnt wird. Man kann so im Nachhinein Dinge schön reden oder rechtfertigen.

Man weiß es aber nicht sicher, und ganz ehrlich, warum sollte die geistige Welt nun ausgerechnet so gestaltet sein, wie man es sich ausmalt? Wie wahrscheinlich ist das? Ich denke, diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering.

Klar, die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Art geistige Welt gibt, liegt auf den Punkt genau bei 50 Prozent. Ganz klar. Hier kann nichts bewiesen werden, weder die Existenz der geistigen Welt, noch ihre Nichtexistenz.

Doch, dass nun die geistige Welt ganz genau so aussieht, wie man es sich ausmalt, dürfte sehr viel unwahrscheinlicher sein.

Als wissenschaftlich denkender Agnostiker kann ich da nur einräumen, dass dem Prinzip der abnehmenden Ordnung, dem unweigerlichen Abgeben/Umwandeln potentieller Energie, dem Altern und Vergehen, eventuell ein Prinzip des Lebens und Schaffens entgegen steht. Diese beiden, sich gegenüberstehenden Prinzipien des Universums haben zusammen eine gewisse Schönheit und ganz ausschließen möchte ich die Welt des Geistlichen daher nicht.

Also nach diesem kurzen Ausflug ins Metaphysische ist vorerst klar, dass wir rein praktisch damit erst mal nicht rechnen können. Klar, vielleicht sind wir alle Meta-Wesen, die sich momentan in einem Massive Multiplayer Online Role Playing Game befinden und nach dem Tod respawnen – aber dieses Wissen würde uns jetzt hier – ingame – überhaupt nichts bringen.

Wir würden uns immernoch als Geworfene empfinden und müssten mit diesem Universum klar kommen. Wir haben, weder in der Gesellschaft, und schon garnicht vor dem Universum irgendein Recht auf Leben, Glück, oder gar einer schicksalhaften Bedeutung unserer selbst. Außer der, die Wahrscheinlichkeit für das Überleben unserer Spezies zu erhöhen, zum Beispiel durch Arbeit, Ideen, Nachwuchs oder auch unseren heldenhaften Tod.

Als weiteren Watte-Faktor, als Puffer-Zone vor dem kalten Universum haben wir uns die Moral geschaffen. Damit können wir schlechtes Benehmen bestrafen und Gutes ehren. Darauf fußen die meisten Rechte, die wir uns in der Gesellschaft erstritten haben. Oder vielmehr unsere Ahnen haben diese Rechte erstritten, in dem sie die Moral Jahrhundert für Jahrhundert weiter ausbauten und in die Gesetzgebung haben mit einfließen lassen.

Worauf ich mit dieser langen Vorrede hinaus will ist: Ich kann nicht darauf bauen, dass die Dinge besser werden, wenn es mal schlecht läuft. Ich habe kein Recht darauf, genauso viel Reisen zu können, wie Andere. Und schon gar nicht, habe ich ein Recht auf die große Liebe oder tolle Freunde. Kein Recht auf Geld, kein Recht auf Gesundheit. Neid wird in dem Sinne obsolet, da wir eh nichts daran ändern können. Also ja, wir können auf etwas hinarbeiten, aber ein Recht, das Ziel zu erreichen, haben wir nicht.

Ich bin völlig Rechte-los. Klar, die Rechte in einer Gesellschaft existieren, da ich allerdings keinen Einfluss auf die Gesellschaft, in die ich geboren werde, habe, habe ich auch diese Rechte nicht wirklich, höchstens das Glück, in dieser Hinsicht Glück zu haben – und ich kann mir vornehmen für eine Ausweitung dieser Rechte zu streiten, einzustehen.

Diese Perspektive der Rechtelosigkeit ermöglicht etwas Großartiges: Dankbarkeit, über die eigene Situation. So schwierig und verworren sie auch sein mag. Auch wenn sich das Leben in der Gesellschaft gerade verschlechtert. Ich hätte eigentlich schon längst vergangen sein können. Aber noch bin ich hier, ich lebe und fühle. Das ist ein Glück. Eines, auf das ich nie ein Recht hatte. Weil es mit den Rechten der anderen Wölfe, Bären & Krankheitskeime, kollidieren würde.

Es gibt vielleicht kein Schicksal, dass ich noch erfüllen muss, weil ich sofort sterben könnte. Aber vielleicht ist es Schicksal, dass ich genau jetzt hier bin und lebe. Ein Schicksal im Nachhinein gedeutet, auf dass ich aus der Vergangenheit heraus aber kein Recht hatte.

Was für ein Glück am Leben zu sein! In dieser unfairen Gesellschaft, die aber besser ist, als manch andere. Vielleicht bin ich krank, oder eingeschränkt, aber ich bin hier, bin bis hierher gekommen. Das ist ein Geschenk. Vom Universum, an mich selbst.

Ich habe kein Recht vor dem Universum auf mein Glück oder Leben, aber wo ich schonmal hier bin, und mir dessen bewusst, kann ich dass einzig Sinnvolle tun: ich kann mein Leben selbst in die Hand nehmen. Niemand anderes wird dafür Sorgen, dass ich zu meinem Glück komme, kein göttliches Prinzip (zumindest kann ich damit nicht rechnen). Ich muss selbst Verantwortung dafür übernehmen, wie ich mein Leben sehe. Wie ich die Karten ausspiele, die ich nunmal auf der Hand habe. Andere werde ich nicht bekommen, egal wie gut oder schlecht sie sind.

Ich habe auch kein Recht auf die Moral, oder ihren Erhalt. Kein Recht darauf, dass die so entstandenen Gesetze für freie Meinungsäußerung oder Grundversorgung erhalten bleiben. Aber ich kann dankbar für sie sein und die Verantwortung übernehmen, für ihren Erhalt und Ausbau einzustehen. Sei es bei den freien Wahlen, Demonstrationen, oder in Gesprächen mit Mitmenschen. Oder durch das Erkennen, dass Vernunft-basierte Gespräche mit realitätsverweigernden Personen eventuell nicht möglich sind.

Gerade als Autist kann ich mir noch so sehr wünschen, dass sich Dinge bessern. Beim zuhause auf eine rettende Prinzessin warten, ist die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung nunmal sehr gering. Es wäre unverantwortlich, dort zu verbleiben. Das Universum wird nicht mit den Schultern zucken, wenn ich vereinsamt zuhause vergehe. Es gibt mir keinen Bonus im Gegenzug zu meinen Einschränkungen. Es hat auch keine Verantwortung dafür. Am Ende wird das keinen interessieren. Klar könnte die Gesellschaft mehr Raum für Leute wie mich schaffen. Und womöglich wird ein Recht darauf irgendwann umgesetzt, wenn ich mithelfe, aber selbst dann muss ich aufstehen, die Wohnung verlassen und mich dort hin begeben. Ich muss also selbst aktiv werden – auf meine Art. Eine andere Person kann und wird das nicht für mich tun. Es bringt auch nichts, anderen die Schuld an meiner Situation zu geben. Das ändert nichts. Dem Universum ist das egal, die Zeit oder vielmehr die kausal zusammenhängenden Ereignisse schreiten ungerührt fort. Wenn ich etwas anders haben will, muss ich es selbst tun. Nur so ändert sich die Kausalkette. Und ich kann auch nur dass tun, was in meiner Kraft steht. Für alles darüber hinaus, kann ich nichts. Das erleichtert auch gegenüber Dingen, die nicht funktionieren, oder schlechter werden.

Es gibt keine Ausrede für ein mündiges, zum Handeln fähiges Wesen, dafür, das Leben nicht selbst in die Hand zu nehmen und es, soweit möglich, auf ganz eigene Weise zu gestalten. Egal, welche Karten das Leben austeilt. Vor dem Universum sind wir alle gleich Rechte- und Bedeutungslos. Das beruhigt und motiviert mich und macht mich dankbar.

  1. Leider finde ich den Artikel nicht mehr und somit auch nicht den genauen Wortlaut. Auf der Webseite des Magazins findet sich nur einer aus einer Sonderausgabe – diesen meine ich leider nicht. Vielleicht ist es genau jenes Heft, welches ich gerade an meinen Vater verliehen habe. ↩︎

Die Kultivierung des Hellen – und dessen Wandel

Heute schreibe ich von zuhause. Normalerweise setze ich mich dafür gern in ein Café. Zum Einen, weil ich dort weniger Ablenkungen habe, wie Netflix, Steam, oder den Kühlschrank. Zum Anderen, weil ich so oft es geht versuche, mich dem Hellen zuzuwenden. Dem Teil des Lebens, der mir Auftrieb gibt, ein gutes Gefühl. Der selbst nichts vorher Erlebtes kompensieren will, sondern einzig das Streben zum offenen, zufriedeneren und möglicherweise schaffenden Selbst darstellt.

Bin ich im Hellen, dann gehe ich mit einer positiven Haltung durchs Leben. Ich sehe womöglich zufriedener aus. Es scheint so, dass ich dies dann auch nach außen hin ausstrahle, und ich erlebe dann Situationen, die mich im Hellen halten. Ein Lächeln einer Passantin oder die Kraft jemandem zu Helfen und sich dadurch gut zu fühlen.

In guten Zeiten kann sich das Helle über längere Zeit strecken.

Wenn ich mich also bewusst versuche in eine positive Haltung zu bringen, dann, so habe ich die Erfahrung gemacht, erlebe ich die Welt auch positiver. Daher ist es seit Jahren mein Bestreben, dieses Helle zu fördern, zu kultivieren. Vielleicht gerade weil ich durch meine Einschränkungen oft an meine Grenzen komme und dadurch auch schwierige Phasen habe, in denen ich nicht weiß, ob ich mein Leben weiter auf die Reihe kriege oder irgendwann nicht mehr kann. Ich bin sozusagen sehr oft am Limit.

Daher kann ich mich nicht immer im Hellen bewegen, doch ich versuche es, so oft ich kann. Nach einer Arbeitswoche verbringe ich den Freitag Nachmittag und Samstag gerne recht allein und zurückgezogen, um mich auszuruhen und Kraft zu tanken. Wenn ich Glück habe, bin ich Sonntag in der Verfassung, etwas zu tun, was Teil des Hellen ist. Mich in ein Café zu setzen, zu schreiben, danach vielleicht noch in den Park zu gehen und am Wasser zu lesen oder Fotos zu machen. An der Gesellschaft teilzunehmen. Am liebsten kleine, einfache Dinge. Ich muss nicht eine Stunde mit der S-Bahn zu einem Museum fahren. Lieber hier in der Gegend.

Der Aufenthalt im Hellen symbolisiert für mich die Möglichkeit, die Person zu sein, die ich eigentlich sein möchte. Je mehr Zeit ich im Hellen verbringen kann, desto mehr bin ich diese Person. Und der Aufenthalt dort hat für mich auch noch eine andere, wichtige Komponente: Ich möchte mein Leben gerne teilen – und ich habe das Gefühl, dass ich aus dem Hellen heraus die Chance habe, jemanden Kennenzulernen. Und da kommt auch eine Schwierigkeit in diese Sache.

Während des Aufenthalts im Hellen bin ich zum Teil weniger angepasst und maskiert als zum Beispiel an einem durchschnittlichen Arbeitstag. Ich muss nicht so funktionieren. Ich gehe ja nur spazieren oder esse einen Kuchen in einem Café – schreibend. Zum anderen versuche ich mich auf eine andere Weise anzupassen – die Lautstärke im Café aushalten. Oder mit fremden Menschen reden. Es ist also keine komplett entspannte Situation. Hinzu kommen weitere autistischen Eigenschaften: Ich finde die Unterhaltungen mit Fremden meist anstrengend. Dazu kommen meine eingeschränkten Interessen. Ich genieße es einfach nicht, mir verschiedene Themen von anderen anzuhören oder mich auf deren Lieblings-Sportarten einzulassen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich gerne eine Frau treffen, die ein bisschen so tickt wie ich. Oder einen Freund, der sehr ähnliche Interessen hat. Durch meine Einsamkeit ist es sehr schwer, nicht zu hoffen, im Hellen eine tolle Person zu treffen. Hoffe ich es aber zu sehr, bin ich nicht im Hellen. Ich bin dann angespannt, bewerte Blicke über, frage mich ständig, ob ich ein Gespräch anfangen soll. Und wenn ich es anfange, kann es sein, dass es mich sehr anstrengt.

Kurz, Aufenthalte in Cafés oder anderen gesellschaftlichen Orten sind für mich – zumindest, wenn ich allein bin – nicht unbedingt entspannend. Der helle Charakter kann durch ein Zu-Sehr-Wollen verschwinden. Der Aufenthalt im Hellen ist für mich also keine Sache, die ich unendlich strecken kann und ich benötige auch wieder den Ausgleich – die Ruhe.

Wäre ich in einer Beziehung, oder hätte einen guten Freund, wären für mich diese Aufenthalte wesentlich entspannter, weil dieses Zu-Sehr-Wollen nicht mehr stören würde. Doch wie lernt man jemanden Kennen, wenn die eigenen Interessen nicht im öffentlichen Raum stattfinden, und es schwer ist, sich für andere Interessen zu begeistern?

Seit ich die Autismus-Diagnose bekam, denke ich viel darüber nach. Deshalb sitze ich heute zuhause. Ich dachte den ganzen Tag darüber nach, dass ich ins Café gehen könnte, aber ich habe das schon so viele Jahre so gemacht. Ich habe Angst, wieder enttäuscht davon nach hause zu kommen, dass ich niemanden Kennengelernt habe.

Diese Angst entlarvt die Idee, die ich vom Hellen hatte teilweise als Illusion. Durch die Diagnose wandelt sich für mich die Idee davon, was das Helle eigentlich für mich ist. Ich weiß noch nicht, was ich tun kann, um mit der Gesellschaft oder tollen Einzelpersonen wirklich in Kontakt zu kommen. Wozu raus gehen, wenn man eh weiß, dass eine passende Person für einen Asperger wie mir sehr schwer zu finden ist? Wozu Dinge tun, die zwar hell, aber auch anstrengend sind, wenn die eigentlich Hoffnung dahinter seit Jahren nicht erfüllt wurde? Ist es nicht vorerst besser, diese Dinge nicht zu tun? Dieses Getriebensein abzulegen, etwas im Außen machen zu müssen, der Sache selbst willen aber auch um jemanden Kennenzulernen? Nicht mehr zu suchen? Immer zu hoffen, jemanden kennenzulernen macht die Sache doch zu verkrampft. Auch das Online-Dating führte für mich noch nicht zum Erfolg, obwohl die Möglichkeit, Menschen nach Interessen filtern zu können, verlockend ist. Man stürzt dabei zu schnell aufeinander zu und bisher war es immer eher schmerzhaft, oder zumindest kraftraubend weil unecht.

Allerdings kann es auch keine Lösung sein, nur zuhause zu bleiben. Nach der Ruhe fordert mein Selbst auch wieder die Teilnahme am Hellen ein. Ich muss mir vielleicht eine neue Idee davon schaffen, und es weiter kultivieren. Wenn es keine Räume für Begegnung gibt, muss ich vielleicht selbst einen schaffen. Vielleicht über ein schwarzes Brett eine Gruppe gründen, eine Gruppe von ebenfalls leisen Menschen, die verstehen, das man nicht immer Kraft hat, sich zu treffen. Wo ich weniger das Gefühl habe, mich strecken und maskieren zu müssen. Das wäre schön.

Weltraumpoet