Die Kultivierung des Hellen – und dessen Wandel

Heute schreibe ich von zuhause. Normalerweise setze ich mich dafür gern in ein Café. Zum Einen, weil ich dort weniger Ablenkungen habe, wie Netflix, Steam, oder den Kühlschrank. Zum Anderen, weil ich so oft es geht versuche, mich dem Hellen zuzuwenden. Dem Teil des Lebens, der mir Auftrieb gibt, ein gutes Gefühl. Der selbst nichts vorher Erlebtes kompensieren will, sondern einzig das Streben zum offenen, zufriedeneren und möglicherweise schaffenden Selbst darstellt.

Bin ich im Hellen, dann gehe ich mit einer positiven Haltung durchs Leben. Ich sehe womöglich zufriedener aus. Es scheint so, dass ich dies dann auch nach außen hin ausstrahle, und ich erlebe dann Situationen, die mich im Hellen halten. Ein Lächeln einer Passantin oder die Kraft jemandem zu Helfen und sich dadurch gut zu fühlen.

In guten Zeiten kann sich das Helle über längere Zeit strecken.

Wenn ich mich also bewusst versuche in eine positive Haltung zu bringen, dann, so habe ich die Erfahrung gemacht, erlebe ich die Welt auch positiver. Daher ist es seit Jahren mein Bestreben, dieses Helle zu fördern, zu kultivieren. Vielleicht gerade weil ich durch meine Einschränkungen oft an meine Grenzen komme und dadurch auch schwierige Phasen habe, in denen ich nicht weiß, ob ich mein Leben weiter auf die Reihe kriege oder irgendwann nicht mehr kann. Ich bin sozusagen sehr oft am Limit.

Daher kann ich mich nicht immer im Hellen bewegen, doch ich versuche es, so oft ich kann. Nach einer Arbeitswoche verbringe ich den Freitag Nachmittag und Samstag gerne recht allein und zurückgezogen, um mich auszuruhen und Kraft zu tanken. Wenn ich Glück habe, bin ich Sonntag in der Verfassung, etwas zu tun, was Teil des Hellen ist. Mich in ein Café zu setzen, zu schreiben, danach vielleicht noch in den Park zu gehen und am Wasser zu lesen oder Fotos zu machen. An der Gesellschaft teilzunehmen. Am liebsten kleine, einfache Dinge. Ich muss nicht eine Stunde mit der S-Bahn zu einem Museum fahren. Lieber hier in der Gegend.

Der Aufenthalt im Hellen symbolisiert für mich die Möglichkeit, die Person zu sein, die ich eigentlich sein möchte. Je mehr Zeit ich im Hellen verbringen kann, desto mehr bin ich diese Person. Und der Aufenthalt dort hat für mich auch noch eine andere, wichtige Komponente: Ich möchte mein Leben gerne teilen – und ich habe das Gefühl, dass ich aus dem Hellen heraus die Chance habe, jemanden Kennenzulernen. Und da kommt auch eine Schwierigkeit in diese Sache.

Während des Aufenthalts im Hellen bin ich zum Teil weniger angepasst und maskiert als zum Beispiel an einem durchschnittlichen Arbeitstag. Ich muss nicht so funktionieren. Ich gehe ja nur spazieren oder esse einen Kuchen in einem Café – schreibend. Zum anderen versuche ich mich auf eine andere Weise anzupassen – die Lautstärke im Café aushalten. Oder mit fremden Menschen reden. Es ist also keine komplett entspannte Situation. Hinzu kommen weitere autistischen Eigenschaften: Ich finde die Unterhaltungen mit Fremden meist anstrengend. Dazu kommen meine eingeschränkten Interessen. Ich genieße es einfach nicht, mir verschiedene Themen von anderen anzuhören oder mich auf deren Lieblings-Sportarten einzulassen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich gerne eine Frau treffen, die ein bisschen so tickt wie ich. Oder einen Freund, der sehr ähnliche Interessen hat. Durch meine Einsamkeit ist es sehr schwer, nicht zu hoffen, im Hellen eine tolle Person zu treffen. Hoffe ich es aber zu sehr, bin ich nicht im Hellen. Ich bin dann angespannt, bewerte Blicke über, frage mich ständig, ob ich ein Gespräch anfangen soll. Und wenn ich es anfange, kann es sein, dass es mich sehr anstrengt.

Kurz, Aufenthalte in Cafés oder anderen gesellschaftlichen Orten sind für mich – zumindest, wenn ich allein bin – nicht unbedingt entspannend. Der helle Charakter kann durch ein Zu-Sehr-Wollen verschwinden. Der Aufenthalt im Hellen ist für mich also keine Sache, die ich unendlich strecken kann und ich benötige auch wieder den Ausgleich – die Ruhe.

Wäre ich in einer Beziehung, oder hätte einen guten Freund, wären für mich diese Aufenthalte wesentlich entspannter, weil dieses Zu-Sehr-Wollen nicht mehr stören würde. Doch wie lernt man jemanden Kennen, wenn die eigenen Interessen nicht im öffentlichen Raum stattfinden, und es schwer ist, sich für andere Interessen zu begeistern?

Seit ich die Autismus-Diagnose bekam, denke ich viel darüber nach. Deshalb sitze ich heute zuhause. Ich dachte den ganzen Tag darüber nach, dass ich ins Café gehen könnte, aber ich habe das schon so viele Jahre so gemacht. Ich habe Angst, wieder enttäuscht davon nach hause zu kommen, dass ich niemanden Kennengelernt habe.

Diese Angst entlarvt die Idee, die ich vom Hellen hatte teilweise als Illusion. Durch die Diagnose wandelt sich für mich die Idee davon, was das Helle eigentlich für mich ist. Ich weiß noch nicht, was ich tun kann, um mit der Gesellschaft oder tollen Einzelpersonen wirklich in Kontakt zu kommen. Wozu raus gehen, wenn man eh weiß, dass eine passende Person für einen Asperger wie mir sehr schwer zu finden ist? Wozu Dinge tun, die zwar hell, aber auch anstrengend sind, wenn die eigentlich Hoffnung dahinter seit Jahren nicht erfüllt wurde? Ist es nicht vorerst besser, diese Dinge nicht zu tun? Dieses Getriebensein abzulegen, etwas im Außen machen zu müssen, der Sache selbst willen aber auch um jemanden Kennenzulernen? Nicht mehr zu suchen? Immer zu hoffen, jemanden kennenzulernen macht die Sache doch zu verkrampft. Auch das Online-Dating führte für mich noch nicht zum Erfolg, obwohl die Möglichkeit, Menschen nach Interessen filtern zu können, verlockend ist. Man stürzt dabei zu schnell aufeinander zu und bisher war es immer eher schmerzhaft, oder zumindest kraftraubend weil unecht.

Allerdings kann es auch keine Lösung sein, nur zuhause zu bleiben. Nach der Ruhe fordert mein Selbst auch wieder die Teilnahme am Hellen ein. Ich muss mir vielleicht eine neue Idee davon schaffen, und es weiter kultivieren. Wenn es keine Räume für Begegnung gibt, muss ich vielleicht selbst einen schaffen. Vielleicht über ein schwarzes Brett eine Gruppe gründen, eine Gruppe von ebenfalls leisen Menschen, die verstehen, das man nicht immer Kraft hat, sich zu treffen. Wo ich weniger das Gefühl habe, mich strecken und maskieren zu müssen. Das wäre schön.

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